Wie viele andere Bildungsorte auch stand das STREET COLLEGE während der Pandemie, vor allem in den Lockdown-Phasen, vor großen Herausforderungen: Weil Präsenzlernen nicht oder nur eingeschränkt möglich war, musste auf Online-Lernen ausgewichen werden. Was hat sich seither verändert? Was lief gut, was schlecht? Und lassen sich die Folgen der Pandemie im Bildungsbereich vielleicht auch für positive Entwicklungen nutzen? Dominik, Fachbereichsleiter des Lernlabor im STREET COLLEGE, hat mit uns darüber gesprochen.
Wie hat die Pandemie das Lernlabor eigentlich verändert bzw. welche Veränderungen hast du wahrgenommen in den letzten Monaten?
Dominik: Das sind auf jeden Fall verschiede Ebenen gleichzeitig. Das ist natürlich die Ebene der Teilnehmenden, wer zum Lernlabor gekommen ist und wie sich das Publikum verändert hat. Und das andere ist, dass wir uns daran angepasst haben, was notwendig ist. Wir hatten kurz vor der Pandemie zwar mit Moodle versucht, eine neue Online-Lernplattform anzufangen, aber das war noch lange nicht so weit, dass man es wirklich benutzen konnte. Und jetzt haben wir ein Jahr da reingesteckt und können damit in der nächsten Zeit auch relativ gut das Online-Lernen abdecken. Auch die Erfahrung mit Zoom und diese verschiedenen Herangehensweisen, was Menschen individuell zum Lernen brauchen, können wir dadurch, dass wir so ein Online-Angebot haben, natürlich viel besser vielfältig anbieten.
Und bei den Teilnehmenden, da war es teilweise so, dass manche nur in Präsenz lernen konnten. Die sind ein bisschen weggebrochen, weil das Präsenzlernen nicht funktioniert hat im Lockdown. Seit April machen wir das jetzt mit den Tests vorher. Seitdem gibt es zumindest dieses Angebot wieder für viele, die einfach auch aus ihrem Umfeld raus müsse. Wenn sie zum Beispiel zu fünft in einem Zimmer wohnen oder sowas. Da gibt es schon auch welche, die wirklich nicht zuhause lernen können. Aber andererseits hatten wir durch Corona auch Menschen, die erst durch dieses Online-Angebot und dadurch, dass es ganz normal war, online zu lernen, jetzt ihren Schulabschluss gemacht haben. Das hat bei denen viel einfacher funktioniert, weil sie nicht aus dem Haus mussten, und das für diese Gruppe eher das größte Problem war. Da zeigen sich auch so psychologische Zusammenhänge, die seltsamerweise mit Corona leichter zu überwinden waren. Zumindest bei denen, die das jetzt geschafft haben. Natürlich kann das bei anderen, die nicht da sind, komplett anders aussehen.
Ihr habt am Anfang also vor allem auf Online-Lernen gesetzt und jetzt in den letzten Monaten wieder verstärkt mit vorherigen Tests auf Präsenz im Lernlabor, wenn ich das jetzt richtig verstanden habe?
Dominik: Das Online-Lernen geht natürlich immer noch weiter. Das ist auch noch nicht perfekt und wir wollen versuchen, da Kooperationen zustande zu bekommen, dass sich das weiterentwickelt und dass man mit dieser Grundlage, die wir auch sonst beim Lernen haben, die Möglichkeit hat, so selbstständig wie möglich dieses Ziel des Schulabschlusses zu erreichen. Und zwar ohne dabei einen Rahmen vorzugeben. Damit jeder auch entscheiden kann, das selbst zu machen und bei uns die Möglichkeit hat, nachzufragen. Die Möglichkeiten von Zoom sind ja nicht nur im STREET COLLEGE dazu gekommen, sondern die ganze Welt hat wahrscheinlich gelernt, auch mit Online-Meetings umzugehen und dort produktiv zu sein.
Das ist ja auch was Positives, was uns vielleicht wirklich bleibt, dass man auf beides setzt. Wie hat sich denn das Publikum an sich verändert? Aus dem Kollegium habe ich gehört, dass jetzt auch viele, die eigentlich gute Voraussetzungen haben, nach Hilfe oder Unterstützung fragen. War das beim Lernlabor auch zu spüren, dass viel mehr Leute gekommen sind, die jetzt z.B. durch Corona ihren Abschluss nicht geschafft haben?
Dominik: Ich glaub eher nicht. Nachhilfe hat teilweise gar nicht mehr funktioniert. Das hat in den letzten Monaten sehr wenig stattgefunden. Da gab es noch einzelne, die uns schon davor kannten und deshalb wussten, dass sie einfach vorbeikommen können und nachfragen können. Aber das wurde nicht mehr.
Was auf jeden Fall mehr wurde, waren Menschen, die den Schulabschluss nachmachen wollten. Ob das daran liegt, dass wir bekannter sind und dass deshalb mehr Menschen dazugekommen sind oder dass während der Pandemie die Menschen gedacht haben: „Ich kann sowieso nichts anderes machen, dann mach ich halt mal den Schulabschluss.“ und sich deshalb besser aufs Lernen konzentrieren konnten, kann ich nicht abschätzen. Aber bei den Anfragen, ob man den Schulabschluss beim STREET COLLEGE nachholen kann, haben sich die Zahlen verdreifacht. Ob da ein Zusammenhang mit Corona besteht oder es ohne Corona sogar noch mehr gewesen wären, kann ich aber nicht sagen.
Haben sich denn die Bedarfe der Jugendlichen in der Pandemie verändert? Außerhalb dessen, dass mehr Menschen den Schulabschluss nachholen wollten?
Dominik: Wir konnten vor allem darauf reagieren, wenn wirklich konkrete Sachen waren. Beim Präsenzlernen konnten Menschen ja einfach vorbeikommen und dann konnten wir darauf reagieren. Das war viel niedrigschwelliger, weil man einfach hinkommt und sieht was man lernt und dann merkt: „Ach, den Schulabschluss könnt ich auch machen.“ Dieses Offene, das gab’s halt in der Pandemie eigentlich nicht, vielleicht letzten Sommer so ein bisschen, als wir so halb wieder geöffnet hatten.
Diese Atmosphäre, dass einfach alles möglich ist, die haben wir auch jetzt noch nicht zurück. Dass man mitbekommt, dass hier Menschen an der Nähmaschine sitzen und da hinten macht jemand Musik und im nächsten Zimmer lernt man Mathematik. Die Atmosphäre, dass jedes Lernen möglich ist und dass jedes Lernen erfolgreich hier beim STREET COLEGE umgesetzt werden kann. Das ist alles ein bisschen zerfallen. Die Kohorten-Taktik, dass sich die Studierenden verschiedener Gruppen nicht treffen, war zwar wichtig in dieser Zeit, hat aber natürlich zu weniger Kontakten geführt und diese Atmosphäre nicht wirklich entstehen lassen.
Wie war denn zuletzt die Stimmung bei deinen Studierenden?
Dominik: Viele finden Corona blöd. Manche wollen sich auch nicht impfen lassen, weil sie denken, da wäre Bill Gates dahinter oder so. Solche Sachen gibt’s natürlich immer. Aber dadurch, dass der Schulabschluss einen besonders von April bis Juni sehr in Anspruch nimmt, ist das wahrscheinlich für alle, die den machen das, worüber sie hauptsächlich nachdenken. Es waren sehr viele sehr motiviert und wir hatten noch nie so viele Anmeldungen wie in diesem Durchgang. Von insgesamt dreißig haben 25 ihren Schulabschluss bestanden. So krass war das noch nie. Deshalb waren alle sehr motiviert. Bei anderen spürt man schon, dass es wirklich notwendig ist, dass die Pandemie aufhört. Wir hatten vorletzten Freitag Saisonabschluss-Tag, was eine sehr große Erleichterung war. Wir haben uns alle im Garten des STREET COLLEGE getroffen, die ganze Gruppe, die sich vorher eigentlich noch nie gesehen hat, weil es ja keine Veranstaltungen gab, bei denen alle da waren, sondern immer nur Einzelunterricht im Notfall. Ich glaube, es wäre schwierig gewesen, wenn das nochmal ein paar Monate so weitergeht gegangen wäre. Von der Stimmung her. Aber konkret könnte ich nicht sagen, dass bei meinen Studierenden eine andere besondere Stimmung herrscht als beim Rest der Bevölkerung.
Ich glaube, wir sind alle froh, dass jetzt langsam eine Pandemie-Pause kommt bzw. da ist. Mit abnehmender Pandemiestimmung wird ja auch immer mehr über die Folgenbewältigung gesprochen. Welchen Beitrag könnte denn das Lernlabor bzw. das STREET COLLEGE zur Überwindung der Pandemie-Folgen leisten hinsichtlich der Bildung junger Menschen?
Dominik: Die Pandemie-Folgen sehe ich auch als eine Möglichkeit, neu über Bildung nachzudenken und über diesen Ansatz Neugier und Eigenmotivation zu nutzen, um Wissen und Fähigkeiten zu erwerben. Das wäre eine schöne Pandemie-Folge. Wobei es jetzt gerade eher so wirkt, als wollten alle zurück zum System und das wäre schade. Wenn es um konkrete Dinge geht, wenn z.B. manche ihren Schulabschluss nicht geschafft haben, weil sie nicht in der Schule waren, sind wir natürlich auch da. Da kann man jederzeit auf uns zukommen.
Ich muss da auch an einen Bildungsforscher denken, der meinte, es bringt nichts, den jungen Leuten Nachhilfe in ihren Ferien aufzubrummen, sondern wir müssten mehr daran arbeiten, die Motivation und die Lust am Lernen zu schaffen.
Dominik: Das wäre ein Systemwechsel an sich. Es kommt mir schon so vor, dass sich durch diese Erfahrung der letzten anderthalb Jahre in manchen Köpfen auch etwas ändert. Dass man Schule vielleicht auch anders denken kann. Aber so optimistisch bin ich jetzt auch nicht, ich denke, das dauert noch. Da sind noch zu viele Menschen, die denken, es müsste so sein wie es in ihrer eigenen Kindheit war, weil sie ja auch was geworden sind.
Wäre schön, wenn diese ganze Pandemiesituation bei einigen ein Umdenken fördert. Aber Veränderung vollzieht sich ja leider oft nur langsam.
Dominik: Ja, besonders durch die Schule, wenn man sich die Struktur mal genauer ansieht. Dass da 30 Personen in einer Klasse sitzen und alle genau das gleiche lernen müssen. Auch wenn es leichte Methodenunterschiede gibt, ist es ja trotzdem an sich ein Zwang, dass in 45 Minuten alle das Gleiche denken und das gleiche Wissen mitnehmen. Dieses Trimmen auf „Jeder muss gleich sein“, was in der Schule drinsteckt, ändert sich wahrscheinlich in der näheren Zukunft auch noch nicht.
Und das andere ist, dass wir in der Schulzeit ja auch die Gesellschaft kennen lernen. Doch es gibt in der Schule Situationen, wo eine Autorität vor einem steht und demokratische Prozesse oder Aushandlungsprozesse komplett unterdrückt werden. In manchen Projekten dürfen die Schüler*innen vielleicht ein bisschen mitentscheiden, aber eigentlich lernt man in der Zeit eher ein System kennen, das fast komplett hierarchisch ist. Das ist schon problematisch, wenn es darum geht, die Welt zu verändern.
Ich denke aber, die Pandemie hat bei vielen Menschen das Bewusstsein geschaffen, dass sich manche Sachen einfach doch schnell ändern können. Und das ist vielleicht ein Ansatz, den wir mitnehmen können.
Stichpunkt Zukunft: Was wünschst du dir denn für das Lernlabor für die Zukunft, für die nächsten Monate?
Dominik: Ich wünsche mir, dass alle, die ins STREET COLLEGE kommen, so gut wie möglich lernen können und auch erfahren, dass Lernen wirklich etwas Positives ist. Dass Lernen nichts mit dem zu tun hat, was man manchmal in der Schule mitbekommt, wo Lernen etwas ist, wo man sich durchquälen muss, um am Ende dann irgendwas zu erreichen – und wenn man es nicht erreicht, wäre man im Leben gescheitert oder so. Dieses Denken sollte am besten komplett wegfallen.
Konkret fürs Lernlabor wünsche ich mir natürlich eine wundervolle Finanzierung, dass wir die Skalierung nach oben auch stemmen können, wenn immer mehr Bewerber und Bewerberinnen kommen, die einen Schulabschluss machen wollen. Gleichzeitig hoffe ich auch, dass wir den nächsthöheren Schulabschluss irgendwann anstreben, aber ich denke, das dauert noch zwei Jahre und hängt natürlich auch von der Finanzierung ab. Dass wir das Abitur dann irgendwann auch noch dranhängen können in dieser Form und damit auch als Beispiel, dass es möglich ist, einen Einfluss darauf zu haben. Das ist jetzt natürlich eine größenwahnsinnige Idee, aber die darf man ja haben.
Groß zu denken kann nicht schaden. Hast du noch was auf dem Herzen oder letzte Worte, die du bei diesem Gespräch loswerden willst?
Dominik: Ja, also natürlich ist das Lernlabor gerade ein bisschen abgetrennt, aber ich denke schon, dass es eigentlich nicht ums Lernlabor gehen sollte, sondern um das STREET COLLEGE. Dort ist das Lernlabor ein Element, was genauso dazu gehört wie der Gesangsunterricht. Das war während der Pandemie alles etwas voneinander getrennt. Aber die Idee des STREET COLLEGE ist ja, dass die Menschen einfach hinkommen können, um das zu lernen, was sie wollen. Und der Schulabschluss ist nur eine Möglichkeit davon. Eine andere ist zur Zeit z.B. der Diplomkurs „Künstlerisch basierter Audio Engineer“. Der Kurs „Independent Artists“ befindet sich gerade in der Entwicklung, er ist so angedacht, dass die Studierenden sich dort auch eine Art Abschluss erarbeiten können mit den verschiedenen Kursen, die es im STREET COLLEGE gibt. Ich wünsche mir, dass die Idee hinter dem STREET COLLEGE als Ganzes gedacht wird – mit dem Lernlabor als ein Teil von vielen.
Das Gespräch führte Annabelle Brumm.