Dr. Gerhard Huhn ist Flow-Experte und Coach. Seit vielen Jahren unterstützt er das STREET COLLEGE und gibt unserem Team Schulungen. Nach dem letzten Workshop haben wir mit ihm etwas genauer darüber gesprochen, wie wir am besten lernen, worum es beim Flow eigentlich geht und wie unser Gehirn funktioniert. Viel Spaß beim Lesen!

STREET COLLEGE: Bei uns im STREET COLLEGE sind Studierende gerade in den Prüfungsvorbereitungen für die Nichtschülerprüfung für den BBR und den MSA. Viele wollen vor solchen Prüfungen auf den letzten Drücker noch schnell viel lernen. Hast du Tipps für möglichst effektives Lernen, wenn man wenig Zeit hat?

Gerhard Huhn: So kurz vor der Prüfung sollte man nicht versuchen neu zu lernen, sondern sich darauf konzentrieren, das zu wiederholen, was man schon gelernt hat. Wenn man so ganz kurz vor einer Prüfung – 3,4,5 Tage vorher – etwas Neues lernt, erzeugt das eher Verwirrung im Kopf und man hat Schwierigkeiten, mit dem klarzukommen, was man weiß. Also lieber auf das stützen, was man schon gelernt hat. Bei einer Prüfung kann man nie alles wissen.

Wichtig ist daher eher, dass man Entspannungsübungen, wie etwa Atemübungen, macht und dass man gut isst – damit man körperlich und mental fit ist.

SC: Du bist Flow-Experte & Mitgründer der Flow-Akademie. Beim Flow geht es um einen Zustand von Glück & Freude den wir bei Arbeit oder Anstrengung empfinden können. Kannst du das Flow-Modell noch einmal kurz erklären?

GH: Flow ist im Grunde eine interne Rückkoppelung, dass das was wir tun genau das Richtige ist. Eine intensive Glückserfahrung, man fühlt sich richtig wohl. Das löst dann ein faszinierendes und motivierendes Glücksgefühl aus, das zu jeder Art von Anstrengung befähigt.

Wichtig ist zu wissen, dass sich eine Flow-Erfahrung immer indirekt einstellt, sie lässt sich nicht direkt ansteuern.
Deshalb muss jeder für sich selbst herauszufinden, was für einen richtig ist. Das ist immer ein Zusammenspiel von den Herausforderungen und den eigenen Fähigkeiten, diese zu bewältigen. Die Herausforderung muss immer ein bisschen größer sein, als man denkt, dass man es schaffen kann. Ein Kitzel der Ungewissheit muss dabei sein, eine gewisse Spannung, die sich dann löst, wenn man es geschafft hat.

Ich denke gerade bei den Menschen im STREET COLLEGE kommt es drauf an, dass sie diese Erfahrung des Gelingens in kleinen Schritten vielfach wiederholen, dass sie also spüren, wie gut das tut, wenn man kleine Fortschritte macht und dass sie daraus Lernlust entwickeln, die sich dann ab einem gewissen Maß von Fähigkeiten von selbst verstärkt.

SC: Komme ich denn schneller in den Flow, wenn ich für ein Fach lerne, das mir Spaß macht oder ist das irrelevant?

GH: Es ist ganz wichtig dass die Dozent*innen ein Grundverständnis dafür haben und vermitteln, dass viele Dinge, die man lernt, am Anfang keinen Spaß machen, oft unbequem sind und man eigentlich keine Lust darauf hat. Deswegen sollte man sich selbst kleine Belohnungsschritte verordnen. Wissen fängt vor allem ab einer gewissen Menge an Kenntnissen und Fähigkeiten an Spaß zu machen, egal was man lernt. Es liegt nicht am Stoff selbst, ob man etwas angenehm oder spaßig empfindet, es liegt daran, dass man mit dem Stoff fertig wird, dass man ihn bewältigt. Und das ist immer erst ab einer gewissen Höhe von Erfahrung und Vernetzung im Gehirn möglich.

Wichtig ist, dass ich dieses Bild vor Augen habe: wenn ich ausdauernd genug dran bleibe, dann komme ich auf jeden Fall in den Bereich hinein, in dem es Spaß macht, egal was es für ein Stoff ist.

SC: Was ist denn, wenn ich etwas lernen will, also intrinsisch motiviert bin, trotzdem fällt es mir oft schwer. Wie kann ich mir selbst helfen?

GH: Auch hier ist es wichtig, dass man sich veranschaulicht: Es gibt immer, Momente in denen ich denke, das schaffe ich nicht. Bei jedem Lernstoff gibt es Hürden z.B. wenn die Phase, in der man die Zusammenhänge versteht einfach länger ist. Wichtig ist, dass man mit seinem eigenen Gehirn freundlich umgeht und nicht versucht es zu zwingen, etwas in einer bestimmten Zeit schnell zu lernen. Das Gehirn braucht für manche Dinge mehr Zeit, andere lernt es schneller. Ausdauer ist der entscheidende Punkt Manchmal hat man was gelernt, will einen Schritt weiter gehen und merkt, das hab ich schon wieder vergessen bzw. das versteh ich jetzt auf einmal nicht mehr. Da gilt es gleichmäßig einfach weiterzumachen.

SC: Sich selbst zu immer wieder zu motivieren ist also entscheidend

GH: Motivation ist ein Antrieb und Willenskraft ist die Durchhaltekraft. Es geht darum, die Willenskraft zu stärken. Es gibt Forscher, die sagen, Willenskraft ist wie ein Muskel, man kann sie trainieren. Und das schafft man vor allem, in dem man sich klare Ziele setzt und sie in kleine Schritte runter bricht. So dass man also immer den nächsten kleinen Schritt vor Augen hat. So lange es keinen Spaß macht, sollte man sich kleine Belohnungen gönnen. Möglichst gesunde, aber auch attraktive Belohnungen. Lernt man zum Beispiel eine Sprache – in den meisten Sprachen genügt ein Grundwortschatz von 1000 Wörtern – dann kann man diese in vier Blöcke unterteilen, also immer 250 Vokabeln. Jedes Mal wenn man 250 Vokabeln gelernt hat, gönnt man sich etwas Ordentliches.

SC. Am STREET COLLEGE konzentrieren wir uns darauf die Stärken der Studierenden herauszufinden und zu stärken. Warum ist es so wichtig sich auf seine Stärken zu fokussieren?

GH: Wir unterscheiden zwischen Grundstärken und Fähigkeiten. Grundstärken entwickelt jeder Mensch in einer bestimmten Zeitphase seines Lebens. Wir wissen inzwischen durch die Gehirnforschung und durch die beobachtende Forschung, dass der Mensch sein Gehirn schon vor der Geburt entwickelt. Zwischen der Geburt und dem vierten Lebensjahr wird es durch neue Nervenzellen und synapsische Verbindungszellen intensiv weiter ausgebaut. Dann passiert zwischen dem vierten und 14. Lebensjahr etwas sehr Eigenartiges: Das Gehirn baut etwa die Hälfte der Nervenzellen und synapsischen Verbindungen wieder ab.

Offensichtlich werden wir bis zum vierten Lebensjahr mit einer gewissen Grundausstattung versorgt. Dann probieren wir als junge Menschen zehn Jahre lang aus, was uns gelingt und was uns Freude macht, wo wir schnell lernen, wo wir Erfolge haben. Hier passiert das Gelingen von dem ich sprach und durch das diese Prozesse verstärkt werden. Das Nervensystem verstärkt einzelne Vernetzungsstrukturen – bildhaft gesagt, entstehen hier regelrecht Autobahnen im Gehirn. Vernetzungen die nicht erfolgreich genutzt werden können oder gar nicht gebraucht werden, werden wieder abgebaut. Aus diesem immerhin zehn Jahre dauernden Selektionsprozess entwickeln wir unsere Grundtalente – diese hat jeder Mensch.

Wenn wir später im Leben im Zusammenspiel mit diesen Grundtalenten lernen, ist das Lernen leichter, spart deutlich an Energie und Aufwand und es macht mehr Freude. Insofern ist das Kennenlernen dieser Grundtalente sehr wichtig. Natürlich sollten wir trotzdem das Hinzulernen von Fähigkeiten nicht vernachlässigen, das brauchen wir auch. Wichtig ist aber, dass wir das Hinzulernen rund um diese Grundtalente entwickeln. Uns nicht in Bereichen abzustrampeln, in denen wir merken, dass uns trotz etlicher Bemühungen einfach kein Zugang zum Stoff gelingt.

SC: Was an herkömmlichen Schulen meist einfach nicht möglich ist

GH: Richtig, das Schulsystem als solches kann ja gar nicht diese individuelle Stärkenverfolgung betreiben. Dazu müsste jede Schulklassen – so groß wie sie heute sind – mindestens zwei Lehrer*innen haben, die in kleinen Gruppen beobachten und fördern können. Das ist praktisch vom System her gar nicht möglich.

GH: Eine letzte Frage: Kommst du denn selbst immer total schnell und einfach in den Flow?

GH: Ich habe gar nicht die Absicht in den Flow zu kommen – hier komme ich wieder an den Anfang unseres Gesprächs zurück. Ich habe mein Leben inzwischen so gestaltet, dass die Dinge, die ich tue, in den Bereichen liegen, in denen ich auch meine Grundtalente aktivieren kann. Dinge, die mir nicht so liegen, tue ich nicht mehr. Das war natürlich ein Prozess, der ein paar Jahre gedauert hat. Um das herauszufinden und dann auch wirtschaftlich so hinzubekommen, dass das funktioniert. Es geht darum, sich von dem Gedanken zu lösen, den Flow zu erreichen und das zu finden, was einem liegt. Dann stellt sich der Flow Zustand von selbst ein und das ist für mich inzwischen eine häufige und regelmäßige und intensive Erfahrung.

Vielen Dank für das Gespräch!
Mehr über Dr. Gerhard Huhn, die Flowtheorie und vieles mehr erfahrt ihr auf seiner Website: http://www.flowakademie.com/